Der Roman wurde am 11 Februar 2025 besprochene
Missbrauch im Namen des Herrn
Ein Werk von durchdringender Wucht
Die Farbe von Milch
Originaltitel: The Colour of Milk
Nell Leyshon
Mein Name ist Mary. Mein Haar hat die Farbe von Milch. Und dies ist meine Geschichte.
"Ich erzähle dir das alles nicht gern. Es gibt Dinge, die ich nicht sagen will. Aber ich habe mir geschworen, dass ich dir alles erzählen werde und deswegen muss ich es tun." (Zitat Mary)
Mary ist harte Arbeit gewöhnt. Sie kennt es nicht anders, denn ihr Leben auf dem Bauernhof der Eltern verläuft karg und entbehrungsreich. Doch dann ändert sich alles. Als sie fünfzehn wird, zieht Mary in den Haushalt des örtlichen Dorfpfarrers, um dessen Ehefrau zu pflegen und ihr Gesellschaft zu leisten – einer zarten, mitfühlenden Kranken. Bei ihr erfährt sie erstmals Wohlwollen und Anteilnahme. Mary eröffnet sich eine neue Welt. In ihrer einfachen, unverblümten Sprache erzählt sie, wie ihr Schicksal eine dramatische Wendung nimmt, als die Pfarrersfrau stirbt und sie plötzlich mit dem Hausherrn alleine zurückbleibt.
Der Roman wurde LiWe zur Rezension vom HEYNE Verlag, München, zur Verfügung gestellt.
>> ich bin, was ich bin <<
Nell Leyson
Englische Dramaturgin und Autorin.
1962 in Glastonbury geboren, ehe sie im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie in ein kleines Dorf in der Grafschaft Somerset zog. Nach ihrem Universitätsabschluss in Englischer Literatur an der Universität Southampton startete sie ihre erste Karriere in der Produktion von TV Werbung. Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes begann Leyshon zu schreiben und verfasste zunächst erfolgreiche Theaterstücke, die zum Teil vom BBC als Hörspiele adaptiert wurden. 2005 erschien mit "Black Dirt" ihr erster Roman, der in Großbritannien ein großer Erfolg wurde. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin, lehrte Leyshon über viele Jahre kreatives Schreiben und Schauspiel. Mit "Die Farbe von Milch", ihrem dritten Roman, erschien 2017 ihr erstes Buch in deutscher Sprache. Die Autorin lebt in der Grafschaft Dorset ist sie im Management der englischen Autorengesellschaft tätig und gibt Vorlesungen an der Goldsmiths Universität
.Foto: © Scott Lavene
Lektüre Notizen | Horst G. Flämig | ChatGPT
(Download)
Ein Leidensprotokoll, dessen Lektüre einen frösteln lässt.
Ein Buch, das große Fragen über den jahrelangen hinauszögernden Weg der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen und katholischen Kirche aufwirft und nachdrücklich im Gedächtnis bleibt.
„Die Farbe von Milch“ (Originaltitel: The Colour of Milk) von Nell Leyshon ist ein bemerkenswerter Roman, der sich durch seinen eindringlichen Stil und seine ungewöhnliche Erzählstimme auszeichnet. Er erschien 2012 und wurde schnell für seine literarische Prägnanz und emotionale Wucht gefeiert. Im Folgenden eine ausführliche Rezension des Werks.
Der Roman spielt im Jahr 1831 im ländlichen England und wird aus der Perspektive der 15-jährigen Mary erzählt. Mary wächst in ärmlichen Verhältnissen auf einem Bauernhof auf, wo harte Arbeit und die strenge Hand ihres tyrannischen Vaters den Alltag bestimmen. Mary hat auffälliges silberblondes Haar, das „die Farbe von Milch“ hat, und hinkt aufgrund eines missgebildeten Beins. Trotz dieser Widrigkeiten ist sie ein lebhafter und willensstarker Charakter mit einer scharfen Zunge.
Doch dann ändert sich alles. Als sie fünfzehn wird, zieht Mary in den Haushalt des örtlichen Dorfpfarrers, um dessen Ehefrau zu pflegen und ihr Gesellschaft zu leisten – einer zarten, mitfühlenden Kranken. Bei ihr erfährt sie erstmals Wohlwollen und Anteilnahme. Mary eröffnet sich eine neue Welt. In ihrer einfachen, unverblümten Sprache erzählt sie, wie ihr Schicksal eine dramatische Wendung nimmt, als die Pfarrersfrau stirbt und sie plötzlich mit dem Hausherrn alleine zurückbleibt.
Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive erzählt, als eine Art Geständnis, das Mary in ihrem neu erlernten Schreiben festhält. Die Handlung baut auf eine erschütternde Enthüllung hin, die die Leserschaft bis zur letzten Seite in Atem hält.
Stil und Sprache
Das Herausragende an „Die Farbe von Milch“ ist die Erzählstimme der Protagonistin. Mary schreibt mit einfacher, ungeschönter Sprache, die anfangs durch ihre fehlende Bildung geprägt ist. Der Verzicht auf Großbuchstaben und ein schmuckloser Stil verleihen dem Text eine rohe Authentizität. Diese sprachliche Einfachheit spiegelt Marys ungebildeten, aber klarsichtigen Charakter wider. Trotz (oder gerade wegen) dieser Schlichtheit entwickelt der Text eine enorme emotionale Intensität.
Marys Stimme ist voller Leben und Widerspruch: Sie ist zugleich wütend, humorvoll, rebellisch und schmerzhaft ehrlich. Die sprachliche Gestaltung zieht die Leserschaft unweigerlich in ihre Welt hinein, bis sie nicht mehr nur Beobachter*innen, sondern stille Mitwisser*innen ihrer Geschichte sind.
Der Roman berührt zahlreiche universelle Themen, die auch in der heutigen Zeit relevant sind:
1. Macht und Ohnmacht:
Mary steht als Mädchen aus der Arbeiterklasse mehreren Machtstrukturen gegenüber – ihrem autoritären Vater, dem sozialen Klassensystem und der geschlechtsspezifischen Unterdrückung.
2. Bildung als Befreiung und Bürde:
Marys Fähigkeit zu lesen und zu schreiben gibt ihr nicht nur eine Stimme, sondern zwingt sie auch, die Welt und ihre eigene Unterdrückung klarer zu sehen. Das Schreiben wird für sie zu einem Akt des Widerstands.
3. Geschlecht und Gewalt:
Der Roman thematisiert auf subtile und später erschütternde Weise, wie patriarchale Strukturen Frauen ihrer Würde und Autonomie berauben.
4. Natur und Religion:
Die ländliche Umgebung und die strengen religiösen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts sind omnipräsent und schaffen eine beklemmende Atmosphäre.
Charaktere
Mary ist zweifellos die Seele des Romans. Ihre widersprüchliche Mischung aus Naivität, Intelligenz und Zähigkeit macht sie zu einer der eindrucksvollsten Protagonistinnen der zeitgenössischen Literatur. Die Nebencharaktere – vor allem der Pfarrer und Marys Vater – sind ebenfalls präzise gezeichnet, obwohl sie in erster Linie als Repräsentanten der Machtstrukturen fungieren, gegen die Mary ankämpft.
Botschaft und Wirkung
„Die Farbe von Milch“ ist mehr als nur ein historischer Roman. Es ist ein zutiefst menschliches Buch, das die Leser*innen zwingt, über Fragen von Moral, Gerechtigkeit und den Wert von Freiheit nachzudenken. Leyshon entwirft eine fesselnde Geschichte, die in ihrer Kürze und sprachlichen Einfachheit umso eindringlicher ist. Die finale Enthüllung – eine schockierende Tat, die Mary in ihrem Geständnis beschreibt – hinterlässt die Leser:innen sprachlos und fordert dazu auf, über die systemischen Ursachen solcher Gewalt nachzudenken.
Fazit
„Die Farbe von Milch“ ist ein meisterhaft erzählter Roman, der mit minimalistischem Stil maximale Wirkung erzielt. Nell Leyshon gelingt es, in wenigen Seiten eine dichte, atmosphärische Welt zu erschaffen, die noch lange nachhallt. Marys Geschichte ist zutiefst berührend, schmerzhaft ehrlich und von universeller Bedeutung.
"Ich weiß, was sie mit mir machen werden. Sie werden mir einen Strick um den Hals legen, so wie ich den Draht um seinen gelegt habe. Und ich werde hängen, bis ich nicht mehr lebe und meine Beine werden über der Menge baumeln. Und mein Kind wird mit mir sterben. In mir.. Und dann werde ich frei sein."
Der letzte Satz
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Mary, ein Geschöpf, das sein Schicksal lange mit scheinbar stoischem Gleichmut erträgt. Sie erinnert darin stark an die Figur der jungen Nonne Blanche aus Philippe Agostinis berühmten Kinofilm "Opfergang einer Nonne" aus dem Jahr 1960, jene junge, von ihren Ängsten hin und her bewegte Frau, die vor ihren inneren Dämonen Zuflucht bei Gott sucht - und am Ende zur Märtyrerin wird.