Wie Frauenleben in einer patriarchalen Gesellschaft aufs Minimalmaß zurechtgestutzt werden, erzählt die südkoreanische Autorin Cho Nam-Joo in ihrem millionenfach verkauften Roman.
Kim Jiyoung, geboren 1982
Cho Nam-Joo
(Originaltitel: 82년생 김지영)
Eine rebellierende Reflexion des Frauseins in Korea über drei Generationen einer Familie, mit all den Degradierungen, Demütigungen und Übergriffigkeiten, die damit verbunden sind.
Schon als Kind lernt Jiyoung zu akzeptieren, dass ihr kleiner Bruder die besten Fleischbällchen und ein eigenes Zimmer bekommt, während sie sich alles mit der älteren Schwester teilen muss. Als fleißige Schülerin toleriert Kim Jiyoung, dass die Mädchen ihre Referate immer erst nach den Jungen halten und dass sie auch keine Klassensprecherinnen werden dürfen. Sie erduldet, in der vollen U-Bahn von Männern betatscht zu werden.
Der Roman wurde am 14. Januar 2025 besprochen.
Inhalt
Cho Nam-Joo hat mit ihrem Roman einen internationalen Bestseller geschrieben. Ihre minimalistische und doch messerscharfe Prosa hat nicht nur viele Leserinnen weltweit begeistert, sondern auch Massenproteste in Korea ausgelöst. In einer kleinen Wohnung am Rande der Metropole Seoul lebt Kim Jiyoung. Die Mittdreißigerin hat erst kürzlich ihren Job aufgegeben, um sich um ihr Baby zu kümmern – wie es von koreanischen Frauen erwartet wird. Doch schon bald zeigt sie seltsame Symptome: Jiyoungs Persönlichkeit scheint sich aufzuspalten, denn die schlüpft in die Rollen ihr bekannter Frauen. Als die Psychose sich verschlimmert, schickt sie ihr unglücklicher Ehemann zu einem Psychiater. Nüchtern erzählt eben dieser Psychiater Jiyoungs Leben nach, ein Leben bestimmt von Frustration und Unterwerfung. Ihr Verhalten wird stets von den männlichen Figuren um sie herum überwacht – von Grundschullehrern, die strenge Uniformen für Mädchen durchsetzen; von Arbeitskollegen, die eine versteckte Kamera in der Damentoilette installieren und die Fotos ins Internet stellen. In den Augen ihres Vaters ist es Jiyoung’s Schuld, dass Männer sie spät in der Nacht belästigen; in den Augen ihres Mannes ist es Jiyoung’s Pflicht, ihre Karriere aufzugeben, um sich um ihn und ihr Kind zu kümmern. »Kim Jiyoung, geboren 1982« zeigt das schmerzhaft gewöhnliche Leben einer Frau in Korea
Der Roman wurde LiWe zur Rezension vom Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln, zur Verfügung gestellt.
Kim Jiyoung
ist ein Mädchen, dessen Großeltern sich einen Jungen gewünscht hatten.
Kim Jiyoung
ist eine Tochter, deren Vater sie dafür verantwortlich macht, wenn sie belästigt wird.
Kim Jiyoung
ist eine perfekte Angestellte, und sie wird trotzdem nicht befördert.
Kim Jiyoung
ist eine Ehefrau, die ihren Beruf aufgibt für ein Leben als Hausfrau und Mutter..
Kim Jiyoung
ist wie jede Frau.
„I'm every woman“
Cho Nam-Joo
Foto:© Minumsa
Die Autorin war neun Jahre lang als Drehbuchautorin fürs Fernsehen tätig. Ihr Roman »Kim Jiyoung, geboren 1982« hat sich weltweit über zwei Millionen Mal verkauft und war auch in Deutschland ein großer Bestseller. Cho Nam-Joo lebt in Korea.
>>Es sind harte Lebensrealitäten, die Cho Nam-Joo in ihren Romanen nachzeichnet. Im Zentrum ihrer Erzählungen stehen stets Frauen, eingezwängt in beengenden gesellschaftlichen Verhältnissen, in noch engeren Wohnungen und einschnürenden Rollenvorstellungen für Männer und Frauen.<< Der Standard
ALLTAGSSEXISMUS
"Kim Jiyoung, geboren 1982" ist ein Roman der südkoreanischen Autorin Cho Nam-joo, der 2016 veröffentlicht wurde. Das Buch wurde international bekannt, weil es ein eindringliches Porträt der geschlechtsspezifischen Diskriminierung in Südkorea zeichnet und universelle Fragen über die Stellung der Frau in patriarchalen Gesellschaften aufwirft.
Der Roman erzählt die Geschichte von Kim Jiyoung, einer durchschnittlichen Frau in ihren 30ern, die in einer scheinbar gewöhnlichen Familie in Südkorea aufwächst. Die Handlung wird aus der Perspektive eines Psychologen erzählt, der Kim behandelt, nachdem sie psychische Probleme entwickelt hat. Die Ursache ihrer Probleme liegt jedoch nicht nur in ihrer individuellen Biografie, sondern in der strukturellen Diskriminierung, die sie ihr ganzes Leben erfahren hat.
Die Protagonistin, Kim Jiyoung, ist bewusst unscheinbar gestaltet. Ihr Name ist einer der häufigsten in Südkorea, was sie zu einer Stellvertreterin für viele Frauen macht, die ähnliche Erfahrungen teilen. Der distanzierte Erzählstil mag auf den ersten Blick unpersönlich wirken, unterstreicht jedoch die Universalität ihrer Geschichte.
Der Roman löste bei seinem Erscheinen in Südkorea eine kontroverse Debatte aus. Während viele Frauen das Buch lobten, weil es endlich laut aussprach, was sie selbst erlebten, gab es auch heftige Gegenreaktionen, insbesondere von Männern, die sich durch die Darstellung diskriminiert fühlten. Das Buch wurde zu einem Symbol der feministischen Bewegung in Südkorea und regte weltweit Diskussionen über Geschlechtergerechtigkeit an.
Lektüre Notizen | Horst G. Flämig | ChatGPT
Der Roman schildert Jiyoungs Leben in chronologischer Reihenfolge: ihre Kindheit, Jugend, das Studium, ihre beruflichen Erfahrungen und schließlich ihre Rolle als Ehefrau und Mutter. Diese Abschnitte ihres Lebens sind geprägt von den vielen Formen der Diskriminierung, die Frauen in patriarchalen Gesellschaften erfahren. Ob in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Ehe oder in der Kindererziehung – Jiyoung wird immer wieder mit der Erwartung konfrontiert, sich den traditionellen Rollenbildern unterzuordnen.
Was den Roman besonders macht, ist seine nüchterne und dokumentarische Darstellung. Cho Nam-Joo nutzt Statistiken, Berichte und historische Fakten, um die Erlebnisse von Kim Jiyoung in einen größeren gesellschaftlichen Kontext einzubetten. Dadurch wird Jiyoung nicht nur zu einer fiktiven Figur, sondern zu einer Repräsentantin unzähliger Frauen.
Der Stil des Romans ist sachlich, fast distanziert. Die Autorin verzichtet auf blumige Beschreibungen oder emotionale Ausbrüche und lässt die Fakten für sich sprechen. Diese Nüchternheit verstärkt die Wirkung des Buches, da die Leser:innen gezwungen sind, die Ungerechtigkeiten ohne sentimentale Filter zu betrachten. Die Einbindung von Statistiken und Daten verleiht der Geschichte eine fast dokumentarische Qualität, die ihre Glaubwürdigkeit und Dringlichkeit unterstreicht.
Die Erzählweise ist unaufgeregt, aber eindringlich. Cho Nam-Joo schreibt in klaren, prägnanten Sätzen, die die Alltäglichkeit der geschilderten Diskriminierungen betonen. Gerade diese Alltäglichkeit – die Normalisierung von Ungleichheit – macht die Schilderungen so schockierend.
1. Patriarchale Strukturen:
Der Roman zeigt, wie tief verwurzelt die Geschlechterungleichheit in Südkorea (und weltweit) ist. Von der Bevorzugung männlicher Kinder in der Familie bis hin zur gläsernen Decke im Berufsleben wird deutlich, wie systematisch Frauen benachteiligt werden.
2. Mutterschaft und Selbstaufgabe:
Jiyoungs Entscheidung, ihren Job aufzugeben, um sich um ihr Kind zu kümmern, wird nicht als freie Wahl dargestellt, sondern als Folge gesellschaftlicher Zwänge. Der Roman thematisiert den Verlust der Identität, den viele Frauen in traditionellen Rollen erleben.
3. Psychische Gesundheit:
Jiyoungs psychische Probleme sind weniger ein individuelles Phänomen als vielmehr ein Symptom des gesellschaftlichen Drucks. Ihre "Störung" wird zur Metapher für die kollektive Belastung von Frauen.
4. Intergenerationelle Perspektive:
Der Roman beleuchtet auch die Erfahrungen von Jiyoungs Mutter und Großmutter, wodurch er zeigt, wie sich die Diskriminierung von Generation zu Generation verändert – und doch im Kern gleich bleibt.
5. Mikroaggressionen:
Viele der geschilderten Erlebnisse – abfällige Bemerkungen, Ungerechtigkeiten im Beruf, die Einschränkung von Freiheit – sind subtil, fast banal. Doch die Häufung solcher Mikroaggressionen zeigt die erdrückende Realität des weiblichen Alltags.
Charaktere
Kim Jiyoung ist bewusst als "durchschnittliche" Frau dargestellt. Sie hat keine außergewöhnlichen Eigenschaften oder Ambitionen, was sie zu einer universellen Figur macht, mit der sich viele Frauen identifizieren können. Ihre Passivität und Anpassungsfähigkeit mögen auf den ersten Blick irritieren, sind aber eine bewusste Entscheidung der Autorin, um die Mechanismen von Unterdrückung zu verdeutlichen.
Die Nebencharaktere, darunter Jiyoungs Ehemann, ihre Eltern und ihre Kolleg:innen, repräsentieren verschiedene Aspekte der Gesellschaft. Besonders hervorzuheben ist die Rolle des Ehemanns, der zwar verständnisvoll wirkt, letztlich aber ebenfalls von patriarchalen Privilegien profitiert.
Botschaft und Wirkung.
„Kim Jiyoung, geboren 1982“ ist nicht nur ein literarisches Werk, sondern auch ein feministisches Manifest. Der Roman fordert dazu auf, gesellschaftliche Strukturen kritisch zu hinterfragen und Veränderung einzufordern. Cho Nam-Joo gelingt es, das persönliche Schicksal einer Frau mit größeren gesellschaftlichen Problemen zu verknüpfen, ohne dabei plakativ oder belehrend zu wirken.
Fazit
„Kim Jiyoung, geboren 1982“ ist ein mutiges und wichtiges Buch, das mit einfachen Mitteln eine große Wirkung erzielt. Es ist nicht nur ein literarisches Porträt einer Frau, sondern auch ein Spiegel, der die systemische Diskriminierung von Frauen sichtbar macht. Die Stärke des Romans liegt in seiner Klarheit und Universalität – und in seiner Fähigkeit, die Leser*innen dazu zu bringen, über ihre eigenen Vorurteile und gesellschaftlichen Strukturen nachzudenken.
Im "Gender Gap Report 2022" des World Economic Forum landet Südkorea auf dem 99. Platz von 146 Ländern, hinter den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kenia.
1 Iceland
2 Finland
3 Norway
4 New Zealand
5 Sweden
6 Rwanda
7 Nicaragua
8 Namibia
9 Ireland
10 Germany
11 Lithuania
12 Costa Rica
135 India
136 Morocco
137 Qatar
138 Benin
139 Oman
140 Algeria
141 Mali
142 Chad
143 Iran
144 Congo
145 Pakistan
146 Afghanistan
„고생 끝에 낙이 온다.“
("Go-saeng kkeut-e nak-i on-da.")
„Nach der Not kommt das Glück.“