Der Roman wurde am Dienstag, 3. September 2024, besprochen.

Das Birnenfeld

Nana Ekvtimishvili 

Georgien, 1990er Jahre. Zäune und ein Birnenfeld grenzen das Internat, Relikt aus Sowjetzeiten, von der Außenwelt ab, niemand interessiert sich für die Kinder darin. Bis Lela, selbst Insassin, einen Plan schmiedet.

"Der Geschichtslehrer muss sterben."

Der Geschichtslehrer muss sterben, die Kinder sollen über das Birnenfeld in die Freiheit rennen - das ist Lelas Plan. Im Internat für geistig behinderte Kinder in Tbilisi, einem Relikt aus Sowjetzeiten, hat das zornige Mädchen die Rolle der Beschützerin übernommen. 


 Es sind die rebellischen Mädchen und Frauen in der georgischen Gesellschaft, denen Nana Ekvtimishvili Gesicht und Stimme gibt. 

Literatur in Wersten

Nana Ekvtimishvili

 Foto © Nata Sopromadze 


Nana Ekvtimishvili, 1978 in Tbilisi geboren, studierte an der Filmhochschule Babelsberg und drehte mit Simon Groß zwei vielfach preisgekrönte Filme: Die langen hellen Tage (2014) und Meine glückliche Familie (2017). Sie lebt in Berlin und in Tbilisi.

Die Spielfilmregisseurin  wuchs in einem Wohnblock am Kinderheim der Gldani-Siedlung auf. 


Literatur in Wersten

Sozialistischer Realismus

Das Birnenfeld

Folgen sie der Autorin in eine Welt, die ebenso von Mitgefühl wie von Brutalität geprägt ist: In eine Welt der Heimkinder am Rand von Tiflis. 

So mörderisch Lelas Hass auf den Geschichtslehrer, so schwesterlich ihr Verhältnis zu Irakli: Sie begleitet ihn in eine Hochhauswohnung in der Nachbarschaft, wo er einmal in der Woche mit seiner Mutter in Griechenland telefonieren darf. Irakli will nicht wahrhaben, was Lela längst weiß: Seine Mutter wird nie zurückkehren, sie wird ihn auch nicht zu sich holen. 

Georgien war 2018 Gastland der Frankfurter Buchmesse 

Seit 1991 erlebte die ehemalige Sowjetrepublik einen Wirtschaftskollaps, eine Revolution, 2008 Bombardierungen durch Russland, bis heute Konflikte um die Grenzregionen Abchasien und Südossetrien. Historisch sieht sich der patriarchale, religiöse Staat, der auf einen EU- und Nato-Beitritt hofft, als Grenze Europas zum Orient. Ein Underdog, in der Antike Heimat von Medea und dem goldenen Vlies; immer wieder erobert und besetzt, von Römern, Persern, Mongolen, Ottomanen und Russen. 

Ein bewegende Geschichte. Ein schonungsloser Beleg. 

Ein scharfsichtiges Porträt der georgischen Gesellschaft der 1990er Jahre. Im Mittelpunkt stehen jene, die sonst am Rand stehen: Die Debilen aus der Kertsch-Straße.  Und am Ende blitzt ein winziger Hoffnungsschimmer auf.


"Wer die Wahrheit sagt, sollte sein Pferd gesattelt lassen."

Georgisches Sprichwort