Der Roman wurde am Dienstag, 1. Oktober 2024 besprochen.
Der Roman „Die Baugrube“ ist in seiner ergreifenden Merkwürdigkeit einzigartig in der Literaturgeschichte.
Die Baugrube | Andrej Platonow
Original: Котлован
Sinnbild des Scheiterns | Ein sozialistischer Beckett
Eine neue, bessere Welt für alle Menschen zu schaffen, das war die Verheißung der sowjetischen Utopie. Der rückständige Agrarstaat sollte laut Stalin in kürzester Zeit in die Moderne katapultiert und seine Bewohner zu "Neuen Menschen" erzogen werden.
Arbeiter heben eine gigantische Grube für ein Hochhaus aus: Es soll Platz für die Bevölkerung einer ganze Stadt bieten. Mit Szenen, die an Beckett erinnern, dekonstruiert Andrej Platonow in seinem Roman von 1930 die sozialistische Utopie.
Wer sich verstärkt für die Kultur und Geschichte der Sowjetunion interessiert, dem kann man diesen Roman, parodisch und poetisch zugleich, als paradigmatisches Werk empfehlen. Ein Werk ohnegleichen. Durchdrungen von einer Phraseologie der Sowjetbürokratie. Das Buch galt als unübersetzbar.
Andrej Platonow, dessen wichtigste Werke zu seinen Lebzeiten in der Sowjetunion nicht erscheinen durften, gilt inzwischen als Klassiker der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts. Sein Roman „Die Baugrube“ ist in seiner grotesken Befremdlichkeit einzigartig in der Literaturgeschichte
Entstanden 1930 – zur Zeit der von Stalin eingeleiteten forcierten Industrialisierung und Zwangskollektivierung der Landwirtschaft – ist das Werk eine unmittelbare Reaktion auf das dramatische Zeitgeschehen und zugleich das radikalste, überzeugendste literarische Sinnbild für das Scheitern der kommunistischen Utopie.
"Ach du, Masse, Masse! Es ist schwer, aus dir den Grützbrei des Kommunismus zu organisieren"
Die ersten Sätze
>>Am dreißigsten Jahrestag seines persönlichen Lebens gab man Woschtschew die Abrechnung von der kleinen Maschinenfabrik, wo er die Mittel für seine Existenz beschaffte. Im Entlassungsdokument schrieb man ihm, er werde von der Produktion entfernt infolge der wachsenden Kraftschwäche in ihm und seiner Nachdenklichkeit im allgemeinen Tempo der Arbeit.<<
Mit diesen grotesken ersten Sätzen führt Andrej Platonow uns in seine Powest **„Die Baugrube“ ein und fasst gleich alles zusammen, was man über die Persönlichkeit seines Helden Woschtschew wissen muss und wohin uns Platonows Sprache in diesem Werk führt.
In Platonows Text ist die Sprache der Hauptheld. Sie entwickelt ein Eigenleben.
Das Schlüsselwerk der modernen russischen Literatur
Die Baugrube
Andrej Platonow
Ein sehr schön gestaltetes Buch: Die Hardcover Version: Ein Leineneinband mit dem Titel als Prägedruck.
Das Covermotiv ist gestaltet nach dem Gemälde „Köpfe (menschliche Wesen in der Stadt)“ von Pawel Nikolajewitsch Filonow von 1926.
Am Rand einer großen Stadt heben Arbeiter eine riesige Grube aus, um ein »gemeinproletarisches Haus« zu errichten. Vom Kriegsinvaliden über den Handlanger bis zum Ingenieur bildet sich unter den freiwilligen Sklaven eine Hierarchie, die den sozialen Verhältnissen in Stalins Sowjetunion ähnelt. Mit Nastja, dem Waisenkind, das sich nach seiner bourgeoisen Mutter sehnt, ist der »neue Mensch« bereits unter ihnen. Doch am Ende wird es in der Baugrube beerdigt, dem kollektiven Grab, das sich die »Paradieserbauer« (Brodsky) geschaufelt haben.
Andrej Platonows Helden setzen alle ihre Kräfte ein, die glückliche Zukunft der Menschheit durch ihrer Hände Arbeit herbeizuführen – und werden doch von der Wucht dieser Aufgabe erdrückt: Sie versinken in Schwermut, leiden an Erschöpfung und Grübelsucht oder gehen zugrunde, weil es in der neuen Ordnung der Dinge keinen Platz mehr für sie gibt. Die Sprache kann mit dem utopischen Denken nicht Schritt halten, der Boden entgleitet ihr unter den Füßen.
Wie kein zweiter Autor lässt Platonow die Atmosphäre einer Epoche spüren, die voll war von Utopien und Prophezeiungen einer künftigen Welt. Die russische Revolution, die alle Bereiche des Lebens in diesem riesigen Land erfasste, der Kampf um einen »neuen Himmel und eine neue Erde«, findet in seinem Werk einen unerhörten Ausdruck.
Der renommierteste unbekannte Schriftsteller der russischen Literatur Der klassenkämpfende Ingenieur und der gottsuchende Schriftsteller
Andrej Platonov
Foto © Suhrkamp Verlag
Andrej Platonow, 1899 in Woronesch geboren, begann mit 14 Jahren zu arbeiten, absolvierte später das Eisenbahnertechnikum und war in den 20er Jahren als Ingenieur für Bewässerungstechnik und Elektrifizierung tätig. Seit 1918 publizierte er Lyrik, Erzählungen und journalistische Arbeiten. Seine Hauptwerke, Tschewengur (1926) und Die Baugrube (1930), durften nicht erscheinen. Platonow starb 1951. Erst in den 80er Jahren setzte seine Wiederentdeckung ein.
Der junge Platonow wollte die Welt aus den Angeln heben, die Kapitalisten gnadenlos liquidieren.
**POWEST
Das Werk 'Die Baugrube' ist eine Powest (russisch Повесть, Betonung: Pówest). Powest ist in der russischen Literatur eine Prosaerzählung geringeren Umfanges (zwischen Roman und Erzählung) mit chronikalischem Charakter, in der die Strömung des natürlichen Lebens wiedergegeben wird. Der dramatische Konflikt konzentriert sich um den Haupthelden; die Persönlichkeit und ihr Schicksal werden innerhalb weniger Ereignisse herausgestellt.
In diesem Sinne, als fester Gattungsbegriff, wird Powest erst seit dem frühen 19. Jahrhundert verwendet, vor allem durch die Werke von Alexander Puschkin und Nikolai Gogol.
'Es galt als unübersetzbar':
Gabriele Leupold über Platonows 'Die Baugrube'.
"Wer nie Platonow gelesen hat, hat sehr viel verpasst."
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Die Eltern von Gabriele Leupold waren Heimatvertriebene: Der Vater, promovierter Mathematiklehrer, stammte aus Oberschlesien, die Mutter aus Ostpreußen. Sie studierte in Mainz, Göttingen und Konstanz Slawistik (u. a. bei Renate Lachmann) und Germanistik. 1981/82 folgte ein Graduiertenstipendium des DAAD für die Lomonossow-Universität Moskau. Anschließend war sie an der Universität Konstanz tätig. Ab 1985 hielt sie sich ein Jahr lang in Japan auf, wo sie an der Fukui-Universität Deutsch als Fremdsprache unterrichtete. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland war sie Mitarbeiterin einer Berliner Galerie.
Mitte der 1980er Jahre begann sie mit dem Übersetzen literarischer, philosophischer und künstlerischer Texte aus dem Russischen und Polnischen. Sie ist Mitglied im Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke. 2018/19 war sie Gastprofessorin für Poetik der Übersetzung an der Freien Universität Berlin. Sie leitet Workshops und organisiert Veranstaltungen für Übersetzer und Studenten.
Sie ist die Schwester der Schriftstellerin Dagmar Leupold.
Quelle: Wikipedia