Der Roman wurde am 3.12.2024 besprochen
Lesereihe Zwei: Wann werden Frauen Menschen sein?
DIE VEGETARIERIN | HAN KANG
Als Yong-Hye zur Vegetarierin wird, zerbricht erst ihre Ehe, dann die Familie. Der Roman wurde am 03.12.2024 besprochen.
Nach fünf harmonischen Ehejahren begehrt Yeong-Hye auf: Die Protagonistin von „Die Vegetarierin“ beschließt, kein Fleisch mehr zu essen. Von den massiven Folgen dieser Entscheidung erzählt der preisgekrönte Roman der koreanischen Schriftstellerin Han Kang.
»Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie für nichts Besonderes. Bei unserer ersten Begegnung fand ich sie nicht einmal attraktiv. Mittelgroß, ein Topfschnitt, irgendwo zwischen kurz und lang, gelbliche unreine Haut, Schlupflider und dominante Wangenknochen. So fühlte ich mich weder von ihr angezogen noch abgestoßen und sah daher keinen Grund, sie nicht zu heiraten.«
>>Der Roman entstand in einem Staat mit einem vermeintlich erstklassigen Schulsystem, einer exzellenten Infrastruktur, einem Mobilfunknetz der fünften Generation, während in Deutschland die Netzbetreiber die dritte Generation anbieten, und erfolgreichen Weltkonzernen, wie Samsung oder Hyundai. In einem Staat, in dem Kinder bis in die Nacht auswendig lernen, in dem die weltweit höchste Selbstmordrate unter Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen ist, in dem die niedrigste Geburtenrate und die höchste Arbeitszeit herrschen. In einem Staat, in dem ein zehnjähriger Junge kurz vor seinem Suizid in sein Tagebuch schrieb, dass er an zwei Tagen über zwanzig Stunden lernen müsse, ohne dass seine Noten besser würden… und er frei sein möchte wie ein Fisch im Wasser. <<
„Ich hatte einen Traum“, bekundet Yong-Hye, die laut ihrem Ehemann an Durchschnittlichkeit kaum zu übertreffen ist – bis sie nach diesem Traum beschließt, kein Fleisch mehr zu essen. „Es ist mein Herz, das schmerzt, und in meiner Magengrube spüre ich einen undefinierbaren Druck. Er ist immer da. Was sich dort ansammelt und festgesetzt hat, das sind Schreie und Gebrüll. Und die kommen vom Fleisch. All die Seelen sind dort eingeklemmt. Blut und Fleisch werden verdaut, die Nährstoffe überall im Körper verteilt. Der Rest wird ausgeschieden. Aber die Seelen klammern sich hartnäckig in meinem Magen fest. Ich möchte einmal, ein einziges Mal einen großen Schrei ausstoßen können."
Die Vegetarierin von Han Kang
Yong-Hye und ihr Ehemann sind ganz gewöhnliche Leute. Er geht beflissen seinem Bürojob nach und hegt keinerlei Ambitionen. Sie ist eine zwar leidenschaftslose, aber pflichtbewusste Hausfrau. Die angenehme Eintönigkeit ihrer Ehe wird jäh gefährdet, als Yeong-Hye beschließt, sich fortan ausschließlich vegetarisch zu ernähren und alle tierischen Produkte aus dem Haushalt entfernt. »Ich hatte einen Traum«, so ihre einzige Erklärung. Ein kleiner Akt der Unabhängigkeit, aber ein fataler, denn in einem Land wie Südkorea, in dem strenge soziale Normen herrschen, gilt der Vegetarismus als subversiv. Doch damit nicht genug. Bald nimmt Yong-Hyes passive Rebellion immer groteskere Ausmaße an. Sie, die niemals gerne einen BH getragen hat, fängt an, sich in der Öffentlichkeit zu entblößen und von einem Leben als Pflanze zu träumen. Bis sich ihre gesamte Familie gegen sie wendet.
Der Roman wurde LiWe zur Rezension vom Aufbau Verlag zur Verfügung gestellt.
Nobelpreis für Literatur 2024
Die 52-Jährige erhält den renommiertesten literarischen Preis der Erde >>für ihre intensive poetische Prosa, die sich historischen Traumata stellt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt.<<
HAN KANG
Foto: © Baek Dahum
Han Kang ist die wichtigste literarische Stimme Koreas. Seit sie für »Die Vegetarierin« 2016 den Man Booker International Prize erhielt, haben ihre Bücher auch international großen Erfolg. Auch der Roman »Weiß« war für den Booker Prize nominiert, »Menschenwerk« erhielt den renommierten italienischen Malaparte-Preis. Im Aufbau Verlag sind »Die Vegetarierin«, »Menschenwerk«, »Deine kalten Hände«, »Weiß« sowie »Griechischstunden« erschienen.
- 1995: Hankook Ilbo Preis für hervorragende Romanschriftsteller
- 1999: Koreanischer Roman-Preis
- 2000: Preis für junge Künstler von heute des Ministeriums für Kultur und Tourismus
- 2005: Yi-Sang-Literaturpreis
- 2010: Tongni-Literaturpreis
- 2016: Man Booker International Prize für 'The Vegetarian'
- 2017: Premio Malaparte
- 2023: Prix Médicis étranger für Impossibles adieux (zusammen mit Misericordia von Lídia Jorge)
- 2024: Ho-Am-Preis
- 2024 Nobelpreis für Literatur
Vegetarian (채식주의자)
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Der Film "Vegetarian" von Regisseur Lim Woo-Seong hatte seine Premiere im Oktober 2009 beim vierzehnten Busan International Film Festival in der Kategorie Korean Cinema Today. In den Kinos ist der Film am 18. Februar 2010 in Südkorea angelaufen.
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