Der Roman wurde am Dienstag, 6. August 2024  besprochen.


Wer Äußerstes erlebt hat, ist auch Äußerstes zu tun im Stande.

Fegefeuer

Sofi Oksanen

Im Jahre 1940 marschiert die Rote Armee in Estland ein, kurz danach folgen deutsche Truppen, und dann sind es wieder Russen, die das Land ins Chaos stürzen. Für die meisten Esten eine Katastrophe ohne Ende, doch eine freut sich. Aliide heißt sie, und kurz vor dem Krieg musste sie zusehen, wie ihre Schwester Ingel den Mann heiratete, den Aliide über alles auf Erden liebt. 

 Es war ein Riesenerfolg in Finnland. Sofi Oksanens „Fegefeuer“ erhielt als erster Roman beide große Literaturpreise Finnlands. Vor dem Hintergrund von Krieg, Unterdrückung und Umwälzungen in Estland erzählt Oksanen die Geschichte zweier rivalisierender Schwestern. 

 In Finnland aufgewachsen mit einer estnischen Mutter, durfte Sofi Oksanen ihre Großmutter auf der Kolchose besuchen und gewann also schon als Kind Einblick in den Alltag des sowjetischen Estlands, der den meisten aus dem Westen verschlossen blieb.

Ein Roman, aktueller denn je.

Die Russen überfielen 1940 Estland. Das Land wurde völkerrechtswidrig in die Sowjetunion eingegliedert. Estland sollte von den Faschisten befreit werden. Den russischen Nachrichten zufolge befreien heute ihre Truppen die Ukraine vom Joch eines Naziregimes und befreien die Bewohner des Donbass vor einem Genozid. 
Regierung, Schulen, Medien und Justiz erzählen über Generationen hinweg die gleichen Lügen. Und die Lügen werden zur anerkannten Wahrheit. Putins Russland macht alle, die sich ihm nicht unterwerfen, zu "Faschisten". und rechtfertigt den Krieg in der Ukraine mit einem gefakten Geschichtsbild.

>>Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht<<

Franz Kafka | Der Prozess 

Große Literatur

FEGEFEUER

sofiaksanen

Als Aliide Tru, eine alte Frau, die allein in einem Bauernhaus auf dem estnischen Land lebt, ein Bündel in ihrem Garten findet, das sich als junge Frau entpuppt, schluckt sie ihre Skepsis und Menschenverachtung herunter und nimmt Zara in ihr Haus auf. Zara ist auf der Flucht vor ihren Zuhältern, die sie mit brutalster Gewalt zu Willfährigkeit gezwungen haben und ihr schon dicht auf den Fersen sind. Doch Zara sucht keineswegs so zufällig Unterschlupf bei Aliide, wie diese glaubt: Aliide könnte die Schwester ihrer Großmutter sein.

Während Zara noch Beweise für die Verwandtschaft sucht und nach einer Möglichkeit, Estland zu verlassen, fühlt sich Aliide von der jungen Frau bedroht: Zu oft musste sie Leib und Seele, Hab und Gut vor Eindringlingen schützen. In Rückblenden entsteht das immer schärfer werdende Bild einer Familientragödie, die fast fünfzig Jahre zuvor, als Estland von den Russen besetzt wurde, ihren Höhepunkt fand. Rivalität und Eifersucht, Scham, Schutzbedürftigkeit und vor allem Angst vor der Brutalität der Männer gegenüber den Frauen – das sind die Motive, die Aliide zu unvorstellbaren Entscheidungen zwangen. Sofi Oksanen gelang mit diesem Roman, der in 38 Ländern erschien, der große Wurf. 

Atemlos vor Spannung liest man über das Schicksal zweier Frauen, die ganz unterschiedliche und im Kern doch vergleichbare Erfahrungen machen: Egal welches politische System auch herrscht, Opfer sind immer die Frauen.

Literatur in Wersten

Sofi Oksanen

 Foto © Toni Harkonen 

Sofi Oksanen, geboren 1977, Tochter einer estnischen Mutter und eines finnischen Vaters, studierte Dramaturgie an der Theaterakademie von Helsinki. Ihr dritter Roman, »Fegefeuer«, war monatelang Nummer eins der finnischen Bestsellerliste und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Finlandia-Preis, dem Literaturpreis des Nordischen Rates und dem Prix Femina. Der Roman erschien in über vierzig Ländern und machte die Autorin auch in Deutschland zu einer der wichtigsten Vertreterinnen der internationalen Gegenwartsliteratur. Sofi Oksanen lebt in Helsinki. 

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Sofi Oksanen