Lesereihe Drei

Afrikanische Literatur | Der Kolonialismus ist nicht vorbei. 

Projekt Fünf | 12. August 2025 | 19:00 bis 20:30 Uhr
Bürgerhaus Wersten | Das kulturelle Vieleck
Werstener Dorfstraße 90 | 40591 Düsseldorf 

Die geheimste Erinnerung der Menschen

Mohamed Mbougar Sarr 

Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz in taz

>>Ich habe Mohamed Mbougat Sarrs "Die geheimste Erinnerung der Menschen" gelesen. Ein großartiges Buch<<

Denis Scheck, ARD Druckfrisch

>>Ein grandios inszeniertes literarisches Dedektivspiel, dass uns mit brandaktuellen Fragen nach Rassismus, Identitätspolitik und kultureller Aneignung konfrontiert.<<

Gert Scobel, 3sat Buchzeit

>>Einfach nur brillant<<

Enrico Ippolito, Der Spiegel

>>Gemeinsam mit Diégane betreten Sie ein Labyrinth.....Und wenn Sie herauskommen, werden Sie nicht mehr so sein wie vorher<<

Thomas Hummitzsch, Der Freitag

>>Mohamed Mbougar Sarrs „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ ist alles in einem: Märchen, Krimi und Satire auf den Literaturbetrieb.<<

Niklas Bender, FAZ

>>Ein Leseerlebnis<<

Ausgezeichnet 2021 mit dem prestigeträchtigen Prix Goncourt. (ältester und bedeutendster Literaturpreis Frankreichs) und dem Internationalen Literaturpreis 2023 (Haus der Kulturen der Welt, Berlin)

Ein Roman im Roman

Mohamed Mbougar Sarr erzählt von der Suche nach einem verschollenen Autor: Als dem jungen Senegalesen Diégane ein verloren geglaubtes Kultbuch in die Hände fällt, stürzt er sich auf die Spur des rätselhaften Verfassers T.C. Elimane. Dieser wurde in den dreißiger Jahren als "schwarzer Rimbaud" gefeiert, nach rassistischen Anfeindungen und einem Skandal tauchte er jedoch unter. Wer war er? Sarr erzählt von einer labyrinthischen Reise, die drei Kontinente umspannt.

Ein Bildungsroman, eine radikal aktuelle Auseinandersetzung mit dem komplexen Erbe des Kolonialismus und eine Kriminalgeschichte.

Der Roman wurde LiWe zur Rezension vom Penguin Verlag, München, zur Verfügung gestellt. 

Der erste Satz eines labyrinthischen Romans

"Eines zumindest kann man über einen Schriftsteller und sein Werk mit Gewissheit sagen: Beide gehen zusammen durch das denkbar vollkommenste Labyrinth, ein langer Rundweg, auf dem ihr Ziel und ihr Ausgangspunkt ineinander übergehen: die Einsamkeit. "

Mohamed Mbougar Sarr

Foto © DR/Courtesy of Philippe Rey

Mohamed Mbougar Sarr (* 20. Juni 1990 in Dakar, Senegal) ist der älteste von sieben Brüdern. Er studierte an der Militärprytaneion von Saint-Louis und später in Frankreich am Lycée Pierre-d'Ailly von Compiègne und der École des Hautes Études en Sciences Sociales. Sarr lebt in Paris. 

Bereits Sarrs erstes veröffentlichtes Werk „La cale“ wurde 2014 mit dem Prix Stéphane-Hessel ausgezeichnet. Seine folgenden preisgekrönten Romane werden der politischen Literatur zugeordnet. So handelt „Terre ceinte“ (2015, „Erde umkreist“) vom Dschihadismus in der Sahelzone. „Silence du chœur“ (2017, „Schweigen des Chores“) behandelt die Migration nach Sizilien, während Homosexualität im Senegal das Thema von „De purs hommes“ (2018, „Reine Männer“) ist. 

Im Jahr 2021 veröffentlichte Sarr seinen vierten Roman „La plus secrète mémoire des hommes“ (dt. „Die geheimste Erinnerung der Menschen“). Im Jahr seiner Veröffentlichung gewann das Buch den Prix Goncourt und machte Sarr zum ersten senegalesischen Autor, der Frankreichs wichtigsten Literaturpreis gewann. 2023 erhielten Sarr und seine Übersetzer Holger Fock und Sabine Müller den Internationalen Literaturpreis. 

»Über einen gewissen Zeitraum hinweg begleitet die Kritik das Werk, ehe sie entschwindet und die Leser seine Begleiter werden. Die Reise kann von sehr langer oder sehr kurzer Dauer sein. Danach sterben die Leser einer nach dem andern, und das Werk setzt einsam seinen Weg fort, obwohl sich immer wieder neue Kritiken, neue Leser seiner Reise anschließen. Dann stirbt die Kritik ein weiteres Mal, es sterben die Leser, und auf dieser nach und nach mit von Gebeinen bedeckten Straße setzt das Werk seine Reise in die Einsamkeit fort. Sich ihm zu nähern, in seinem Kielwasser zu schwimmen bedeutet den sicheren Tod, und dennoch nähern sich ihm unermüdlich andere Kritiken, andere Leser, die allesamt von Zeit und Geschwindigkeit verschlungen werden. Am Ende reist das Werk in absoluter Einsamkeit durch die unendlichen Weiten. Und eines Tages stirbt es, so wie alle Dinge sterben, so wie die Sonne vergeht, die Erde, das Sonnensystem und die Galaxien und noch die geheimste Erinnerung der Menschen.«


Roberto Bolaño,  chilenischer Schriftsteller

(* 28. April 1953 in Santiago de Chile; † 14. Juli 2003 in Barcelona)

Lektüre Notiz 

horst g. flämig | moderation LiWe

Inhalt 

„Die geheimste Erinnerung der Menschen“ ist verfasst aus der Sicht eines im Senegal geborenen Erzählers und angehenden Schriftstellers, der wie Sarr nach Frankreich auswandert. Sein Name ist Diégane Latyr Faye.
In Paris stößt er durch Zufall auf ein vergessenes Buch: „Das Labyrinth des Unmenschlichen“, geschrieben von einem Autor mit dem eigentümlichen Namen T. C. Elimane, einem Senegalesen, der als „afrikanischer Rimbaud“ frenetisch gefeiert wird . Der französische Dichter Arthur Rimbaud war für die Surrealisten und Expressionisten ein Star. Er galt als Wunderkind und wurde dann zum enfant terrible, das ruhelos durch die Welt zog, verschwenderisch lebte und keine 40 Jahre alt wurde. 

Doch schon bald nach Veröffentlichung seines Werks beschuldigen ihn seine Kritiker, abgeschrieben zu haben. So ein herausragendes Buch von einem Schwarzen? Unmöglich. Das Buch wurde geächtet. Der Verlag stellt den Verkauf ein, die Bestände wurden vernichtet. T.C. Elimane verschwindet nach den Plagiatsvorwürfen, ohne jemals einen weiteren Text zu veröffentlichen. 
Worum es in diesem aus dem Literaturbetrieb verbannten Buch geht, wird nur kurz skizziert: Ein brutaler, nach absoluter Macht gierender afrikanischer König lässt seine Widersacher verbrennen, düngt mit ihrer Asche die Bäume auf seinem Land, die dadurch zu einem großen, machtvollen Wald heranwachsen. 

>>Am Anfang gab es eine Prophezeiung und es gab einen König; und die Prophezeiung verhieß dem König, die Erde schenke ihm die absolute Macht, doch sie verlange dafür die Asche der Alten, und der König willigte ein; er begann sogleich, die Ältesten in seinem Königreich zu verbrennen, dann verstreute er ihre Überreste um seinen Palast, wo bald ein Wald wuchs, ein schauriger Wald, der das Labyrinth des Unmenschlichen genannt wurde.<<

Laut der Kritik handle sich bei dem Roman um ein Plagiat einer alten Volkserzählung hieß es. Die Vorwürfe stellten sich später als falsch heraus, aber da ist T.C. Elimane bereits diskreditiert und untergetaucht. Der ausbrechende Zweite Weltkrieg tut sein Übriges, um seine Spuren zu verwischen. 


Fasziniert von dem Buch und dem Skandal, den es einst auslöste, begibt sich Diégane Latyr Faye auf eine literarische Spurensuche quer durch Kontinente und Jahrzehnte, von Paris über Argentinien bis nach Dakar. Er sammelt spärliche Archivreste, Sachbuchtexte, Tagebucheinträge, mündliche Erzählungen von Familie und Freunden, die über das vergessene Meisterwerk informieren. 

Aus verschiedenen Perspektiven und in unterschiedlichen Erzählebenen kreist der Roman um das Leben des rätselhaften Autors und seiner Familie. 

Fazit 

„Die geheimste Erinnerung der Menschen“ ist gleichermaßen Kriminalroman, Bildungsroman, Satire und philosophische Betrachtung. Der Roman reflektiert eindringlich die Position afrikanischer Autoren in einem frankophilen Literaturbetrieb. m Zentrum steht für Sarrs Erzähler die Frage, wann der Vorwurf des Plagiats, also der Plünderung anderer Werke ohne Nennung der Herkunft gerechtfertigt ist.

Der Titel des Werkes „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ stammt aus einem Zitat, in dem der chilenische Schriftsteller Roberto Bolaño über das Absterben literarischer Werke reflektiert. 

Sarr verschränkt verschiedene Textebenen, erzählt Geschichten in Geschichten und reflektiert beständig über das Schreiben selbst.  Die Perspektiven ändern sich ständig. Sarrs Sprache ist reich, bildgewaltig und durchzogen von Anspielungen auf afrikanische wie europäische Literatur. 

Der Text ist eine Hommage an Borges, Bolaño, Céline, Yambo Ouologuem, und viele andere. Er bewegt sich zwischen Erzählung, Essay und Poesie. Die Konstruktion des Romans ist komplex, aber meisterhaft komponiert – ein literarisches Puzzle mit hoher Dichte. Intellektuell fordernd und sprachlich brillant, nicht leicht zugänglich. 

Mohamed Mbougar Sarr gelingt es, ein eindrucksvolles Werk über die Bedeutung von Sprache und Herkunft zu schaffen – ein modernes Meisterwerk und eine der wichtigsten französischsprachigen Veröffentlichungen des 21. Jahrhunderts. 

Für Leser*innen, die literarisch anspruchsvolle, mehrschichtige Werke suchen, ein absolutes Muss. Dennoch eine Schöpfung, die wegen seiner Vielschichtigkeit und allseitigen Spiegelungen polarisiert. In seiner Komplexität eine offenkundige Herausforderung an die Leserschaft.

Bewertung:: ★★★★★ (5/5 Sterne) 

Gewidmet hat Sarr sein Buch dem 1940 in Mali geborenen Schriftsteller Yambo Ouologuem. In Frankreich wurde jener für seinen Debütroman „Le devoir de violence“ („Das Gebot der Gewalt“) mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet. Nach Plagiatsvorwürfen zog er sich nach Mali zurück – und schrieb von da an keine Zeile mehr. 

Wichtigster französischer Literaturpreis ging 2021 erstmals an einen senegalesischen Autor

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Der 35-jährige Mohamed Mbougar Sarr wurde 2021 mit dem bedeutenden Prix Goncourt ausgezeichnet. Dotiert ist der renommierte Preis mit: zehn Euro. 


"L’enfer, c’est les autres." 

"Die Hölle, das sind die anderen." 

Jean-Paul Sartre (* 21. Juni 1905 in Paris; † 15. April 1980 ebenda)