Lesereihe Zwei
Wann werden Frauen Menschen sein?
>>Wann werden Frauen Menschen sein? Wann?<<, fragte die US-amerikanische feministische Aktivistin, Anwältin und Professorin für Rechtswissenschaft Catharina Alice MacKinnon1999 in ihrem Essay 'Are Woman Human?'
Das Zitat ist der letzte Satz in ihrem Essay. Das Zitat ist der Leitsatz unserer neuen Lesereihe. Wir werden über frauenverachtende und frauenfeindliche Gesinnungen und deren Auslöser diskutieren. Anhand von sechs Romanen, in denen uns subtile Formen der Frauenverachtung bis hin zu perfiden und diabolischen Verhaltens- und Vorgehensmustern, wie Beleidigungen, Hass, Vergewaltigungen, Tötungen begegnen. Varianten von kollektiven Formen bis zu Verfehlungen von Einzeltätern.
Man sollte meinen, Misogynie ist in einem typisch patriarchalischen, autoritärem Umfeld weit verbreitet. In Afghanistan, im Iran. Weit gefehlt. Auch in allen postpatriarchalischen Systemen, wie in den USA oder auch in Deutschland treffen wir auf diese düstere Thematik..
Die Intention von Literatur in Wersten
>> Wir wollen in unseren Lesetreffs der Frage nachgehen, auf welchem gesellschaftlichen Nährboden geschlechtsspezifische Gewalt gedeiht und wie sie wirkt. <<
horst g. flämig | moderation LiWe
Die Installation "Zapatos Rojos" (Rote Schuhe) wurde von der mexikanischen Künstlerin Elina Chauvet 2009 ins Leben gerufen, um gegen häusliche Gewalt und Femizide zu protestieren. In ihrem Heimatland ist die Anzahl an Femiziden besonders hoch und Elina Chauvet suchte nach einer Form, künstlerisch darauf aufmerksam zu machen. Jedes Paar der roten Schuhe steht für ein Opfer eines Femizids.
"Würden wir am Ende eines Jahres eine Schweigeminute für jede in Deutschland von ihrem (Ex-)Partner ermordete Frau halten, schwiegen wir über zwei Stunden. Gedächten wir aller Frauen, die einen Tötungsversuch überlebt haben, wären es sechs Stunden. Und würden wir für jede frauenverachtende Tat, jede erlittene Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung, Herabwürdigung, sexuelle Nötigung und Belästigung den Mund halten, könnten wir das Reden langfristig einstellen. Aber Schweigen hilft nicht."
Christina Clemm, Rechtsanwältin, Autorin (Gegen Frauenhass, Hanser Verlag Berlin)
Sechs mächtige Romane aus Österreich, Südkorea (2), England, Belgien und Japan..
Kompromisslose weibliche Literatur
Besprochen am Dienstag, den 05. November 2024
Blauschmuck | Katharina Winkler
Vom Leiden einer jungen Kurdin. Der Blauschmuck ist ein Geschenk der Männer. Sie verteilen ihn großzügig. Nahezu jede Frau in dem kurdischen Tal in der Türkei, in dem das Mädchen Filiz aufwächst, trägt ihn; einige um den Hals wie ein Medaillon, andere Frauen um die Fesseln oder das Handgelenk. Das Blau gibt es in allen Schattierungen – von sehr hell bis fast schwarz. Der Farbton ist abhängig davon, mit welchem Werkzeug die Männer auf ihre Frauen einschlagen – ob mit Holzlatten oder Eisenstangen.
Besprochen am Dienstag, den 03. Dezember 2024
Die Vegetarierin | Han Kang
Nobelpreis für Literatur 2024
Eine junge Frau, Yong-Hye, beschließt vom einen auf den anderen Tag, kein Fleisch mehr zu essen. Das ist der Ausgangspunkt.
Ein Roman, der an seiner Oberfläche von einer surrealen Sehnsucht erzählt, darunter die Abgründe einer patriarchalen Gesellschaft sondiert.
Ein Plädoyer für das Recht auf Eigensinn, eine Ermutigung, zu träumen und zu rebellieren.
Dienstag, den 14. Januar 2025
Kim Jiyoung, geboren 1982 | Cho Nam-Joo
Die exemplarische Geschichte einer jungen Frau aus Seoul, die mit Anfang dreißig psychisch erkrankt. Schon als Kind lernt sie zu akzeptieren, dass ihr kleiner Bruder die besten Fleischbällchen und ein eigenes Zimmer bekommt, während sie sich alles mit der älteren Schwester teilen muss. Als fleißige Schülerin toleriert Jiyoung, dass die Mädchen ihre Referate immer erst nach den Jungen halten und dass sie auch keine Klassensprecherinnen werden dürfen. Sie erduldet, in der vollen U-Bahn von Männern betatscht zu werden.
Dienstag, den 11. Februar 2025
Die Farbe von Milch | Nell Leyshon
Mary ist harte Arbeit gewöhnt. Sie kennt es nicht anders, denn ihr Leben auf dem Bauernhof der Eltern verläuft karg und entbehrungsreich. Doch dann ändert sich alles. Als sie fünfzehn wird, zieht Mary in den Haushalt des örtlichen Dorfpfarrers, um dessen Ehefrau zu pflegen. Bei ihr erfährt sie erstmals Wohlwollen und Anteilnahme. Dann nimmt ihr Schicksal eine dramatische Wendung, als die Pfarrersfrau stirbt und sie plötzlich mit dem Hausherrn alleine zurückbleibt.
Dienstag, den 11 März 2025
Mit Staunen und Zittern | Amélie Nothomb
Aufzeichnungen einer Toilettenfrau. Ein ironisches Porträt der japanischen Gesellschaft. Auf eigenen Erlebnissen beruht dieser Roman, in der die Belgierin Amélie sich verpflichtet, für ein Jahr in einer japanischen Firma zu arbeiten. Sie erlebt dort die negativen Seiten japanischer Unternehmenskultur: starke Hierarchien, unsinnige Befehlsstrukturen und Demütigungen. Obwohl Amélie Nothomb selbst in Japan geboren ist und ihre Kindheit dort verbracht hat, sind ihr viele der japanischen Bräuche und Gewohnheiten fremd geblieben.
Dienstag, den 08. April 2025
Das Seidenraupenzimmer | Sayaka Murata
Missbrauch. Verlorenheit. Widerstand. Natsuki ist elf Jahre, lebt in einer tristen Neubausiedlung in Japan, wird von der hysterischen Mutter beschimpft und in der Schule sexuell missbraucht. Aber Natsuki glaubt ein "Magical Girl" zu sein, eine Vorstellung, die ihr die Kraft gibt, sich von der Gesellschaft zu befreien: radikal bis zum Äußersten. Der Roman dreht sich im Kern um "Weibliche Selbstbestimmung" und die Verästelungen des patriarchalen Gesellschaftssystems Japans.
Originaltitel: Chikyu Seijin
"Ich liebe ihn, obwohl er mich schlägt."
Jede vierte Frau in Deutschland hat schon körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt in der Partnerschaft erlebt. Doch obwohl das Gewaltschutzgesetz seit mehr als zehn Jahren die Opfer häuslicher Gewalt deutlich besser schützt als zuvor, werden ihre Erfahrungen immer noch tabuisiert, verharmlost und schnell entschuldigt.
Auch von den betroffenen Frauen selbst, die aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen. Dabei ist es nicht nur die Angst vor dem Täter, die die Opfer schweigen lässt.
Es ist auch die Scham, sich nicht vor der körperlichen und psychischen Attacken des Partners schützen zu können und den Kindern ein gewaltgeprägtes Familienleben zuzumuten.
Stattdessen versuchen die Frauen, die erlittenen Demütigungen, Misshandlungen und sogar lebensgefährlichen Verletzungen zu entschuldigen. Sie selbst hätten die Bestrafungen durch eigene Fehler oder Unzulänglichkeiten provoziert, meinen viele Opfer. Sogar gutausgebildete, ökonomisch unabhängige Frauen versuchen oft, die immer wieder neu erlebten Gewalterfahrungen zu vertuschen, weil sie nicht wahrhaben wollen, wie wehrlos und abhängig sie sind.
„Frauen sind der Abschaum der Erde.“
Zitat aus einer Incel-Community.
"Incels“ (nvoluntary celibate men), das sind frustrierte Männer, die keinen Sex haben. Die glauben, sie hätten aufgrund ihres Geschlechts ein Anrecht auf Frauen und Sexualität. Männer, die meinen der Feminismus sei das Grundübel ihrer Situation.
Zerrwelt der Frauenhasser
Wie die "Incel"-Szene an Bedeutung gewinnt und wie gefährlich sie ist
"Jede Rohheit hat ihren Ursprung in einer Schwäche."
Lucius Anneus Seneca | Römischer Philosoph, Dramatiker, Naturforscher, Politiker und als Stoiker einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit. Geboren: 5 v. Chr., verstorben: 65 n. Chr.